Am 8. Mai 1945 zerstörten die Alliierten den nationalsozialistischen Traum vom 1000-jährigen Reich. Das deutsche Militär mitsamt der letzten Mobilisierung des Volkssturms war geschlagen, Hitler nahm sich in seinem Führerbunker in Berlin das Leben, zahlreiche Nazigrößen wurden inhaftiert und zum Teil hingerichtet, sämtliche Organisationsstrukturen des Nationalsozialismus wurden zerschlagen und verboten, seinen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche galt es zu beseitigen. Entsetzt über die tiefe Verankerung der nationalsozialistischen Ideologie im deutschen Volk sollte dieses so zu Demokratie und Menschenrechten umerzogen werden.
Aber das Projekt scheiterte. Auch unter dem Einfluss des wachsenden Konflikts zwischen den alliierten Westmächten und der Sowjetunion schafften es zahlreiche Nazis, sich der Verfolgung der Alliierten zu entziehen. Sie dienten sich als Unterstützung im Kampf gegen den Kommunismus an und sickerten so und über viele andere Umwege zurück an ihre alten Posten. Sie besetzten erneut Richterstühle, reorganisierten die Geheimdienste, fanden Platz in den neuen Volksparteien, wurden Teil von Polizei und Verwaltung. Auch in der Bevölkerung hielt sich hartnäckig das nationalsozialistische Denken. Und so stand Deutschland nur wenige Jahre nach dem 8. Mai da als nach außen hin geläuterter Demokratie, aber im Innern alles andere als „entnazifiziert“. Und auch wenn im selbsternannten antifaschistischen „Arbeiter und Bauernstaat“ (DDR) Altnazis zunächst konsequenter verfolgt wurden und höhere Posten in Staat und Gesellschaft nicht erreichen konnten, blieben auch hier Nazis unbehelligt. Vielmehr zeigte sich schon bald und anhaltend, dass der Geist des Nationalsozialismus fortweste, mal verschämt und manchmal ganz offen.
Zwar schrieben sich beide deutschen Staaten den Kampf gegen den Faschismus und gegen das Wiedererstarken des Nationalsozialismus auf je ihre Weise selbst auf die Fahnen, aber zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte konnten diese Behauptungen über sich selbst eingelöst werden. Verstrickungen zwischen staatlichen Behörden und alten wie neuen Nazis, oder selbst ein offener Bezug auf rechtes Gedankengut sind an der Tagesordnung und haben sich zuletzt sogar noch intensiviert. Überdies unterblieben wesentliche Anstrengungen, die Gründe für den Nationalsozialismus in Deutschland aufzudecken, von staatlicher und auch gesellschaftlicher Seite stets sabotiert. Ersetzt wurde eine tiefergehende Auseinandersetzung durch ein fortwährendes Jammern und Klagen über die Last der deutschen Schuld und das Missfallen darüber, dass nicht endlich in Vergessenheit geraten könnte, was nicht vergessen werden darf.
Der Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus war in Deutschland schon immer ein Kampf, der von unten geführt werden musste. Es waren alte Kommunist*innen und Anarchist*innen, Gewerkschaftler*innen und Vereine wie der VVN/BdA, die nach dem Ende des Nationalsozialismus erkannten, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht gewonnen und nicht zu Ende war. Unterstützung erhielten sie dabei nie vom Staat und oft genug nicht von der Gesellschaft, sondern vielmehr erfuhren sie Repression. Erst, in den 1960er-Jahren radikalisierte sich ein Teil der Student*innen und schloss sich dem Kampf gegen den Faschismus und für eine freie Gesellschaft an.
Allen Anstrengungen zum Trotz gelang es der faschistischen und nationalsozialistischen Rechten sich über das Verbleiben von Altnazis in staatlichen Strukturen hinaus zu reorganisieren. Zunehmend seit den 1980er-Jahren wurde versucht, den Kampf vor allem gegen sog. Gastarbeiter*innen und politische Gegner*innen auf die Straße zu tragen. In der DDR formierte sich zudem eine aktive, rechte Skinheadbewegung, angeleitet durch Nazis, welche die Ursache dafür darstellt, was im wiedervereinigten Deutschland der 90’er als „Baseballschlägerjahre“ in Erinnerung blieb. Der Staat stellte sich in keiner Weise gegen den offen rassistisch auftretenden Mob aus Neonazis und „ganz normalen Deutschen“, sondern schlug sich stattdessen inhaltlich auf deren Seite, während das Bildungsbürgertum betroffen dreinschauend ein paar Lichterketten bildete. Dies ist es, was der bürgerliche Antifaschismus leisten konnte und kann.
Jedem denkenden und mitfühlendem Menschen ist jedoch klar, dass es nur ein Mittel geben kann, den erstarkenden Faschist*innen und Nationalsozialist*innen Einhalt zu gebieten: Die unmittelbare Konfrontation des faschistischen Feindes, den Kampf um die Straße aufzunehmen und wo es nur geht gegenüber der faschistischen Raumnahme Widerstand zu leisten. Sie zurückzuschlagen wo es nur geht, ihre Versammlungen auseinanderzutreiben, ihre Rückzugsorte aufzudecken und zu verunmöglichen. Ihren geheimen Treffen nachzuspüren, ihre Strukturen zu infiltrieren, ihre Arbeitsstellen zu finden und bekanntzumachen. Und daneben: Das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wachzuhalten, die faschistische Ideologie zu entlarven, ihre Propaganda zu enthüllen und die Forschung über die Hintergründe und Ursachen des Faschismus aufzuhellen, um diese zu verstehen. Es ist dies: Der autonome Antifaschismus. Es sind Wir.
Seit es den autonomen Antifaschismus gibt, müssen wir uns nicht nur mit dem faschistischen Feind beschäftigen, sondern auch mit der Repression des Staates gegen uns, wie auch mit Anfeindungen aus der Gesellschaft heraus, die vielmehr als in Neonazis und Faschist*innen, in uns das Problem der Zeit sehen.
Die Repression wird Besonders deutlich an zahlreichen Ermittlungsverfahren gegen autonome Antifaschist*innen nach § 129 und 129a/b StGB, welche zum einen für weitreichende Bespitzelung stehen und zum anderen bewusst den organisierten Antifaschismus als eine Sache von kriminellen und terroristischen Gruppen einordnen. Dieses Strafrecht und seine Anwendung zeigen dabei, dass der deutsche Staat und seine Neonazis in Reaktion auf den sich autonom organisierenden Antifaschismus so feste zuschlagen wollen, wie es – auf der legalen Seite – ihre Gesetzbücher nur hergeben.
Und auch heute werden erneut Genoss*innen von uns inhaftiert und mit Verfahren überzogen, weil ihnen vorgeworfen wird, dem Faschismus die Stirn geboten zu haben. Lina sitzt nun seit fast 2 Jahren in Haft, in der sexistischen Annahme des Staates, dass sie unter dem Druck der Ermittlungsbehörden zusammenbricht und kooperiert. Geht es nach dem Willen der Staatsanwaltschaft, welcher der gleiche Wille ist wie der von rechten Hetzer*innen jedweder Couleur, sollen die 4 Angeklagten und weitere Beschuldigte für viele Jahre ins Gefängnis gehen. Der Staat, vertreten durch die Generalbundesstaatsanwaltschaft, präsentiert sich im Verfahren als Verfechter der Meinungsfreiheit und des gesellschaftlichen Friedens, als übergeordnete und unparteiische Instanz, die gegen eine Vereinigung von Kriminellen vorgeht. Aber das ist geheuchelt: Er selber ist es ja, der den gesellschaftlichen Unfrieden produziert, mit seinen Gesetzen und Behörden Neonazis schützt, diese selbst hervorbringt und auch in seinen eigenen Behörden anstellt und duldet. Der Staat ist in diesem Verfahren nicht mehr als ein Beschützer und Verteidiger von Faschist*innen und Nationalsozialist*innen, egal, was er da selbst über sich befinden und erzählen mag.
Auch wenn das Antifa Ost-Verfahren noch nicht zu Ende ist und das Urteil noch aussteht, befürchten wir, dass es nicht zugunsten der Beschuldigten ausgehen wird. Bei dieser Erwartung spielt für uns dabei keine Rolle, ob die im Raum stehenden Taten von den Beschuldigten tatsächlich begangen wurden oder nicht. Schließlich geht es nicht um die konkreten Taten, sondern es geht um den Angriff auf den autonomen Antifaschismus und auf autonome Antifaschist*innen: Die Beschuldigten werden an unserer Stelle auf den Präsentierteller gesetzt und dort stellvertretend für uns alle rund gemacht. An ihrem Unglück und am aufreibenden und lähmenden Verfahren sollen wir und alle anderen zu sehen bekommen, was uns blüht, wenn wir uns autonom und wirkungsvoll gegen Neonazis zur Wehr setzen.
Es spielt daher auch für das Gericht und die Staatsanwaltschaft keine Rolle, ob die Beschuldigten die vorgeworfenen Taten begingen oder nicht. Es wird repräsentativ ein Verhalten bestraft. Ein Verhalten, dass wir alle nicht an den Tag legen sollen, oder sagen wir besser: dass wir nicht einmal im Ansatz an den Tag legen sollen. Antifaschismus, dass soll uns deutlich gemacht werden, soll nicht mehr sein als eine Mischung aus betroffenen und wohlgefälligen Sonntagsreden, aus Repression in Bezug auf sog. rechte „Einzelfälle“, die sich vor allem dadurch erschöpft, dass sie sich im medialen Rampenlicht abspielt, aus Fachsimpelei und geheucheltem Verständnis. Wenn wir bei diesem, von einem zutiefst rassistischem Staat akkreditierten Antifaschismus nicht mitmachen, dann sind wir keine Antifaschist*innen, wenn wir da nicht mitmachen wollen, dann sollen wir uns raushalten.
Wir aber lassen uns weder verdummen noch einschüchtern. Wir stehen an der Seite der beschuldigten Genoss*innen und endsolidarisieren uns mit Menschen, die die Seite gewechselt haben. So lange die Wurzeln des Faschismus nicht herausgerissen sind, werden wir gegen ihn kämpfen, und so lange, wie Genoss*innen von staatlicher Repression bedroht und drangsaliert werden, werden wir an ihrer Seite stehen. Die aktuellen staatlichen Angriffe sind gerade deswegen auch so fatal, weil sie Angst und Unsicherheit in den antifaschistischen Strukturen säen sollen, gerade zu der Zeit, wo autonomer Antifaschismus so bitter nötig ist, wie lange nicht.
Unserem anhaltenden Willen, sich alten wie neuen Nazis und dem Faschismus in welcher Ausprägung auch immer in den Weg zu stellen, sowie unserer Solidarität mit allen verfolgten Antifaschist*innen wollen wir Ausdruck verleihen. Wenn ein Urteil im Antifa Ost-Verfahren gesprochen wird – egal wie es ausfällt – werden wir am darauffolgenden Samstag in Leipzig auf die Straße gehen und Staat, Justiz und Polizei zeigen, was wir davon halten, wenn Genoss*innen drangsaliert und in Knäste gesteckt werden.
Getroffen hat es einige – gemeint sind wir alle!
Es lebe der autonome Antifaschismus!
Kommt zur autonomen Tag-X Demo in Leipzig am Samstag nach der Urteilsverkündung im Antifa Ost-Verfahren!