Als Mobilisierende hinter „TagXAntifaOst“ möchten wir unsere Einschätzungen zu den Tagen zwischen dem 31.05.23 und dem 04.06.23 mit euch teilen. Wir denken, dass es wichtig ist, das Erlebte zu benennen und darüber in einen Austausch zu kommen. Wir wollen euch unsere selbstkritische Auswertung zur Verfügung stellen, auch in der Hoffnung, dass es uns in Zukunft besser gelingt aus unseren Fehlern zu lernen. Einerseits um zu reflektieren, was passiert ist, andererseits um Strategien zu entwickeln. Der folgende Text beruht auf unseren Eindrücken vor der Woche in Leipzig und danach. Wir wollen nochmal auf unser Reflexionsstatement hinweisen.
„Wir machen diese Demo um unsere Ideen vom autonomen Antifaschismus zu verteidigen!„
Unser Fokus lag also nicht darauf, ein bundesweites „Event“, ein zweites „G20“ zu organisieren oder zu planen, wie über 10 Millionen Euro Sachschaden an jenem Wochenende angerichtet werden könnten. Sondern wir haben uns für die Planung einer Demonstration zusammengefunden. Dabei war uns von Beginn an klar, dass wir es mit einem Verbot und massiver Repression zu tun bekommen könnten.
Spätestens am 31.05.23 waren dann für alle die abgestimmten Maßnahmen von Polizei, der Stadt Leipzig, Politik und Justiz ersichtlich, welche schon Wochen zuvor in den Medien vorbereitet wurden. Es wurde klar beschrieben, was an „Randale“, „Ausschreitungen“ usw. von den sogenannten „Autonomen“ gewünscht wird. 1500 Militante und mehrere tausend Unterstützer*innen wurden prognostiziert. Die Medien von ZEIT bis Springer und allem dazwischen, haben die Erzählung der „Gefahrenprognose“ mit großem Eifer befeuert und verbreitet. Die ZEIT veranstaltete vorher sogar Hausbesuche bei der anmeldenden Person, was in Leipzig bisher nur von den Keims der Zeitung mit den vier Buchstaben bekannt war. Die Kontakt- und Wohnadresse können dabei nur von den Behörden an die Presse weitergegeben worden sein.
Neben der sich wiederholenden Propaganda der „Gefahrenabwehr“ und der zu erwartenden „Gewalteskalation“ tauchte in den Wochen davor nie jener Satz auf, der heute in Antworten auf Landtagsanfragen zu finden ist:
„Konkrete Erkenntnisse zu Planungen klandestiner Aktionen oder zu dezentralen Protestabläufen am Tag „X“ lagen nicht vor.“
Obwohl es keine „Erkenntnisse“ gab, wissen wir heute sicher, dass die Polizei Leipzig das Demonstrationsverbot als einzige Option für Tag X bereits im März gefordert hat und alle Schritte für eine Umsetzung bereits eingeleitet hatte. Dies ergibt sich aus der Allgemeinverfügung, der Verbotsverfügung, Ausschusssitzungen im Landtag und aus Antworten von Landtagsanfragen. So fasste auch Kerstin Köditz in der Landtagsdebatte (06.07.23) die Ereignisse von Seiten der Behörden treffend wie folgt zusammen:
„…wenige Tage zuvor hatte die Stadt Leipzig eine Versammlung verboten, von der man behauptete sie sei die eine zentrale Tag X – Demonstration. Ganz so sicher war man sich dann aber nicht, es wurde nämlich auch eine Allgemeinverfügung erlassen nach der etwaige andere Versammlungen zum gleichen Thema ebenfalls verboten wurden. Das waren umfangreiche Grundrechtseingriffe. Wer auch immer an diesem Wochenende in Leipzig seine Meinung zum sogenannten Antifa Ost-Prozess öffentlich vortragen wollte, er oder sie durfte es nicht. Die Grundlage dafür waren Gefahrenprognosen und Lageeinschätzungen der Polizei und des Geheimdienstes. Es war die Polizei, die der Stadt Leipzig riet, dass eine Tag X – Demonstration verboten und zudem eine Allgemeinverfügung erlassen werden müsse. Dem vernehmen nach wurde diese Idee mehrere Wochen vor der Anmeldung irgendeiner Versammlung formuliert. Man traf also eine Lageeinschätzung und handelte ihr entsprechend und zwar ganz unabhängig von der konkreten Lage und es genügten für dieses Manöver im wesentlichen einige Texte, die, von wem auch immer, im Internet veröffentlicht wurden. Ich möchte an dieser Stelle nicht darüber fantasieren, was für Möglichkeiten sich hier ergeben um unliebsame Veranstaltungen zu verhindern. Wir sollten uns aber die Frage erlauben, welche Qualität die Analysen sächsischer Behörden hatten. In der Begründung der Allgemeinverfügung wird zum Beispiel die Polizeidirektion Leipzig mit der Einschätzung zitiert, falls kein Verbot ergehe, werde es mit Sicherheit zu Plünderungen von Supermärkten kommen.“
Wir wissen heute sicher, egal was wir vorher anders gemacht hätten, eine Demonstration zur Urteilsverkündung im AntifaOst-Verfahren in Leipzig wäre unter keinen Umständen „erlaubt“ worden. Schauen wir uns die Begründung für das Verbot oder die Allgemeinverfügung etwas genauer an. Da waren zum einen die Texte und Aufrufe im Internet, wobei es kaum um die Aufrufe von unserem Blog ging.
„dass es keine klassische konkrete Drohung gegeben hat“ (1)
Wer sich so verdreht ausdrückt, hat offenbar auch einfach nichts zu sagen?! Im Vorfeld haben sich Polizei, Verfassungsschutz und Medien vor allem auf zwei Aufrufe bezogen um das Verbot zu legitimieren:
Da gab es den Text, in dem es hieß pro Haftjahr im Antifa Ost-Prozess eine Million Euro Sachschaden bundesweit zu verursachen. Ein Aufruf, der sich nicht auf die Demonstration am Samstag in Leipzig bezog, sondern indem es lediglich hieß:
Dieser Aufruf fand offensichtlich größeren Anklang bei der Polizei als in der linken Szene, verursachten die Cops doch den wohl größten „Sachschaden“ am 3. Juni mit ihren Wasserwerfern im Gleisbett. Von den Kosten des Einsatzes insgesamt mal abgesehen.
Neben diversen weiteren Aufrufen zum Tag X gab es auch einen merkwürdigen Text von einem sogenannten „autonomen Tag X Vorbereitungskomitee“ in dem formuliert wird, dass Leipzig zum zweiten „G20“ werden soll, was später medial immer weiter verbreitet wurde.
In diesem Kontext ergibt es Sinn, sich noch mal den Auswertungstext zu den verbotenen Demos am 23.10.21 in Leipzig anzuschauen. In diesem heißt es:
„Es stellt sich die Frage, ob wir als Bewegung 1.) zum einen einen Fehler damit gemacht haben, wie zu der Demonstration mobilisiert wurde und 2.) ob wir einen Fehler gemacht haben, wie auf das Verbot reagiert wurde.
Zu 1.) denken wir, dass es kein Fehler gewesen ist. Vielmehr denken wir, dass es ein Fehler ist, die eigene Position zu vertuschen, abzuschwächen oder in den bestehenden staatlichen und bürgerlichen Denkhorizont einzufrieden. Denn gerade dieser Denkhorizont hat die Form, die bürgerliche Gesellschaft und den bürgerlichen Staat in ihrer jetzigen Gestalt zu erhalten. Geprägt ist diese Form des Denkens und eben auch die Äußerung dieses Denkens im Wesentlichen von Betrug, Lüge und Unwissenheit, sowie von Herrschaft und Unterwerfung. Wenn wir selbst auf eine Veränderung zu einer guten und freien Gesellschaft hinarbeiten wollen, dürfen wir diese Art nicht selbst bedienen. Das bedeutet eben auch, dass wir uns nicht anders darstellen dürfen, als wir sind (es sei denn, dies ist Teil eines Plans, der Tarnung und Verschleierung notwendig beinhaltet). Und zwar nicht, weil dies moralisch nicht en vogue ist, sondern weil es nicht zielführend ist, weil das Ziel, wofür wir kämpfen, und die Redlichkeit der Kämpfenden inhaltlich zusammenhängen.“
Wir haben also sowohl verbotene Demos mit klaren Aussagen in Leipzig (23.10.2021) als auch ein Demoverbot, in dem sich eher auf Texte von Indymedia und Co. bezogen wurde als auf die eigentlichen Aufrufe. Sicher ist für uns, dass die Demo am 3. Juni in Leipzig auch verboten worden wäre, wenn es keinerlei andere Aufrufe und Texte im Internet gegeben hätte. Dafür spricht, dass die Behörden lange Zeit davon ausgegangen sind, dass die Tag X – Demonstration gar nicht angemeldet wird, hier wurden uns in den Prognosen der Behörden Superkräfte zugeschrieben, wir seien super klandestin, können in der ganzen Stadt zuschlagen und wären super organisiert. Mit hunderten und tausenden Autonomen aus ganz Europa und das ganz ohne, dass die Behörden darüber „konkrete Erkenntnisse“ erlangen könnten. Wir wurden entweder maßlos überschätzt, was sehr unwahrscheinlich ist, oder aber, all das war eine Strategie für die kommenden juristischen Auseinandersetzungen um das längst geplante Verbot der Demonstration an Tag X.
Jedenfalls die Presse und die Stadtspitze ließen keinen Zweifel daran, dass sie das, was uns Polizei und Verfassungsschutz zugetraut haben, zu 100 % als plausibel erachteten. Sollten wir doch geplant haben eine Demonstration anzumelden, wovon wie gesagt anfangs nicht ausgegangen wurde, dann hatten die Cops auch dafür eine fadenscheinige Erklärung, warum auch dieses Szenario eine Gefahr darstellen würde und verwies auf die „Wir sind alle LinX“- Demonstration in Leipzig. Von dieser wurde rasch abgeleitet, wieso unsere Demonstration nur verboten werden könne, eine andere Option gäbe es schließlich gar nicht.
Innenminister: „Dann hat man eine Scherbendemo wie in Hamburg zum G20-Gipfel„ (2)
Dem Narrativ der Polizei folgend wurde so getan, als sei die „Wir sind alle LinX“ Demo von Anfang an so geplant gewesen, wie sie verlaufen ist, es wäre alles „Taktik“ gewesen. Der Block der „autonomen Antifas“, der „Militanten“ sei extra zwischen den „friedlichen nicht Extremisten“ eingefügt worden, damit die Polizei machtlos sei. Dabei erinnern wir uns eher daran, dass nach diesem Tag eigentlich alle überrascht gewesen waren. Entgegen der verkündeten Planungen, ein großes friedliches spektrenübergreifendes Zeichen vor der Bundestagswahl zu setzen, wo nichts passieren wird/kann, weil sich das negativ für linke Politik und auf die Wahlen auswirken könnte, führte zu dieser falschen Lageeinschätzung.
In den Verbotsverfügungen in Leipzig ist viel von den autonomen Antifaschist*innen die Rede, die in so großer Zahl zusammengekommen seien und sich den Raum in der Demonstration genommen hätten, obwohl sie in der „Blockstruktur“ nicht eingeplant gewesen seien. Zudem ist eine Demoleitung, die im Nachgang sagte so etwas nicht noch einmal anmelden zu wollen, eine willkommene Referenz, auf die sich die Behörden für die verbotene Demonstration zum Tag X besonders gerne beziehen. So wird deutlich, dass die „Wir sind alle Linx“ Demo nicht nur eine entscheidende Rolle für die verbotenen Demos im Oktober 2021, sondern auch für die Tag X – Demo im Juni spielte und auch zukünftig spielen wird. Sie ist aktuell die zentrale Argumentationsgrundlage für alle Bewertungen von Polizei und Verfassungsschutz.
Wiederholungen solch einer Demonstration in Leipzig, soll es nicht mehr geben, auch keine, an der sich autonome Antifaschist*innen in größerer Zahl beteiligen können. Darin sind wir uns nach den Ereignissen im Juni ziemlich sicher. Allein gemessen am „Sachschaden“ bei der „Wir sind alle LinX“ – Demo, ist das eine Farce. Das Problem scheint eher die absolute Fehleinschätzung der Behörden in diesem September gewesen zu sein und der Fakt, dass sie sich nicht imstande sahen mit uns so umzugehen, wie sie es gerne würden. Daher behaupteten sie auch, dass wieder so viele von uns im Juni in Leipzig sein würden, wenn nicht sogar noch viel mehr. Aus unserer Perspektive liegt die Ortsgruppe der IL in Leipzig mit ihrer Analyse, wonach eine „offene Arbeit“ im Vorfeld der „Wir sind alle LinX“ – Demo für mehr Spielraum gesorgt hätte, falsch und so war die IL entweder vor der „Wir sind alle LinX“ – Demo nicht ehrlich zu den Veranstalter*innen und vielen Anderen, oder sie sind es heute nicht. Von den Distanzierungen ganz zu schweigen.
Für uns war die Vorbereitung auf die Tag X Demonstration ein ständiges Auf und Ab, mal schien die Urteilsverkündung im Antifa Ost – Verfahren zum Greifen nah, dann verschob sich alles wieder auf Monate später, oder es war völlig unklar, wann dieser Prozess zu Ende gehen würde. Klar war jedoch, dass wer eine Demonstration für diesen Samstag anmeldet, den Weg der juristischen Auseinandersetzung entgegen der Erfahrung vom Oktober 2021, bis zum Ende bestreiten sollte, da ansonsten immer die Möglichkeit zu diskutieren wäre, ob die Gerichte nicht doch für die Demo entschieden hätten. Diese Option hatten wir von Beginn der Planungen an auf dem Schirm und versicherten uns der juristischen Unterstützung.
In der Nachbetrachtung fällt natürlich auf, dass dieser Weg der juristischen Auseinandersetzung Strukturen bindet, so dass bis zum Nachmittag des 3. Juni darauf gewartet werden musste, bis aus Karlsruhe die Information kam, dass das Gericht den Eilantrag nicht zur Entscheidung angenommen hatte. Klar war auch, dass das kurzfristige Verbot und die ganze Verzögerung Teil der Strategie der Polizei und der Versammlungsbehörde waren. So wie die Behörden uns mehr „Lerneffekte“ aus den Verboten vom Oktober 2021 zugetraut hatten, so sehr haben wir auch die Vorbereitungen von uns und Anderen auf ein mögliches Verbot überschätzt. Heute wissen wir, dass wir keine angemeldeten Demos in Leipzig mehr machen sollten, können und dürfen. Die mangelnde Vorbereitung für ein Verbot und die Auswirkungen eines solchen, war ein Fehler.
Im Gegensatz zur „Wir sind alle LinX“ – Demo wollten wir den Trouble nicht nach Connewitz tragen, sonder genau umgekehrt. Wir wollten die Wut der anhaltenden Repression und Stigmatisierung eines Stadtteils, deren Bewohner*innen Betroffene der beispiellosen staatlichen Verfolgung sind, rein in die Stadt tragen. Klar war aber auch, sollten wir mit unserer Demo am los laufen gehindert werden, dann lieber in einem weitgehend solidarischen Stadtteil. So ging es fast gänzlich unter, dass sich auf der Wolfgang-Heinze-Straße die meisten Läden mit der geplanten Demonstration solidarisch zeigten. Es wurden zum Teil Banner aufgehängt und Läden waren geöffnet für all jene, die zur Demonstration gehen wollten.
„Wir sehen uns auf den Straßen! 16:30 Uhr | Alexis-Schumann-Platz„
Es war ein Fehler – auch von uns -, öffentlich zur Demonstration von Kasek auf den Alexis-Schumann-Platz aufzurufen. Zum einen, weil vielen inner- und außerhalb von Leipzig nicht klar war, zu wem sie dort auf eine Demonstration gehen würden. Zum Anderen, weil Kasek und Co. in den Kooperationsgesprächen schon Absprachen mit den Behörden darüber getroffen hatten, was passiert, falls die Antifaschist*innen von der verbotenen Demo zu ihnen kommen würden. Ins Bild passt hier auch die sofortige Auflösung der Versammlung nach der kurzen Auseinandersetzung, wodurch der Polizei alle Möglichkeiten geboten wurden, mit den Menschen zu verfahren, wie geplant. Jede sofortige Auflösung einer Versammlung eröffnet den Cops Tür und Tor mit den Menschen zu machen, was sie wollen. Zu keiner Zeit haben wir Kasek oder „Leipzig nimmt Platz“ gebeten eine Versammlung als mögliche „Ersatzveranstaltung“ für eine verbotene Demo anzumelden. Über ihre geplante Anmeldung wurden wir jedoch frühzeitig informiert. Die Liste an negativen Erfahrungen mit Kasek und Co. als Anmelder*innen und Organisator*innen von Versammlungen in Sachsen ist viel zu lang, als dass wir um eine Ersatzanmeldung gebeten, oder uns auf eine Kooperation eingelassen hätten, die über einen nötigen Austausch hinausgeht.
Es ist die Schwäche von uns allen gewesen, keine guten Alternativpläne für ein mögliches Verbot gehabt zu haben beziehungsweise dass jene, die es gab, nicht umgesetzt wurden. Darüber, ob die Behörden wegen der eingesammelten Telefone von jenen Plänen, die es gab, mitbekommen haben oder schon vorher im Bilde waren, können wir nur spekulieren. Über die Idee am Sonntag nochmal auf die Straße zu gehen, schienen sie, wie auch die Presse, informiert gewesen zu sein. Sicher ist jedoch, dass die Mehrheit von uns sich kaum Gedanken gemacht hat, oder anderes vorbereitet hatte für den Fall, dass eine zentrale Demonstrationen verboten wird, oder nicht laufen kann. Dezentrale Konzepte, Out of control oder Versuche, den Kessel von außen zu sprengen, waren nicht ersichtlich. Bis auf wenige militante Aktionen und die Auseinandersetzungen am Abend in Connewitz waren die meisten mit dem Kessel beschäftigt und gebunden. Der Plan der Polizei ist an dieser Stelle sicherlich aufgegangen.
Der Innenminister hat deutlich gemacht, dass es in jedem Fall einen großen Kessel am Tag gegeben hätte, wenn nicht bei der Kasek-Demo, dann bei einer anderen, wo wir zusammen gekommen wären. Ziel war es uns an einem Ort fern der Innenstadt zu binden und alle möglichen Menschen, die sich solidarisch zeigen würden, ebenfalls. Dafür waren an dem Tag 4600 Cops im Einsatz. Es gab ein großes Raumschutzkonzept für die Stadt, Vorkontrollen auf den Zufahrtsstraßen nach Leipzig, am Hauptbahnhof, 17 Wasserwerfer, ein Kontrollbereich, der kaum Bereiche in der Stadt offen ließ und sonst noch alles, was für die „Aufstandsbekämpfung“ erdacht wurde. Eine Order, die ausgegeben wurde, lautete „Keine Linken in der Innenstadt“, mutmaßlich vom Polizeiführer und Polizeipräsidenten Demmler (Funkname „Luchs 1“), der bereits Erfahrungen in der Aufstandsbekämpfung in Führungsstäben bei G7- und G6-Treffen gesammelt hat.
Wir sind dankbar für die Strukturen hinter dem Infoticker, der uns für die Demonstration angeboten wurde und sind überzeugt, dass er besser nutzbar gewesen wäre, wenn es unsere Demonstration gegeben hätte. Darauf war dieser ausgerichtet und vorbereitet. Für das Geschehen später dann nicht mehr. Allgemein war auch die Informationsweitergabe unter uns an dem Tag sehr schlecht. Insbesondere, was den Kessel und dessen erkennbare Vorbereitungen betraf, vor denen im Infoticker gewarnt wurde. Zum einen lag dies sicherlich an der mangelnden Vorbereitung für den Fall der Verbote und an der Größe des Kessels. Zum anderen können wir aber auch festhalten, dass von den über 1000 Menschen im Kessel mehr als 600 gar keine Telefone dabei hatten. Was auf der einen Seite Antirepressionsstrukturen freuen dürfte, aber uns auch vor das Problem stellt, wie wir uns an solchen Tagen untereinander informiert halten und untereinander austauschen, wenn Bezugsgruppen kein gemeinsames Telefon nutzen. Der Informationsticker war jedenfalls eine bessere alternative als Twitter und Co., nur leider zu sehr auf unsere Demonstration ausgerichtet.
Zum Cornern am Freitag in Connewitz:
Es war eine spontane Reaktion auf das Verbot der Demonstration. Fraglich bleibt, ob es diesen Spielraum auch an anderen Orten in der Stadt, wie z.B. in der Innenstadt gegeben hätte. Wahrscheinlich eher nicht. Letztendlich konnte festgestellt werden, dass die Ereignisse am Abend der Polizei auf unterschiedlichen Ebenen in die Hände gespielt haben, sie konnten die Bilder nutzen und behaupten, dass ihre Prognosen richtig seien. Konflikte zwischen Bewohner*innen und Menschen beim Cornern waren gewünscht, sollten entstehen und waren in Teilen auch zu beobachten. Es gab hauptsächlich brennende Barrikaden und Auseinandersetzungen mit den Cops, bei denen Fahrzeuge von Anwohner*innen in Mitleidenschaft gezogen wurden, etwas das eigentlich vermieden werden wollte und Wasser auf die Mühlen jener ist, die vom „Krawalltourismus“ reden.
Am Abend waren fast 1000 Cops im Einsatz und nicht nur ortsunkundige Einheiten aus anderen Bundesländern, sondern auch das sächsische BFE und trotzdem kam es zu keinem Kessel, obwohl die Bedingungen dafür günstig waren und der Wiedebachplatz schon einmal bei einer anderen Demonstration umstellt worden war. Sicherlich gab es an dem Abend auch Momente, in denen Einheiten überrascht werden konnten und teilweise überfordert schienen. Dennoch spricht viel dafür, dass es der Polizei immer darum ging, dass wenn es zu Auseinandersetzungen in der Woche kommen sollte, dann doch bitte in Connewitz. Dafür Spricht außerdem, dass am Samstag die Menschen vom Alexis-Schuman-Platz auch nur Richtung Connewitz den Ort verlassen konnten beziehungsweise sogar explizit dorthin geschickt wurden.
Aus einer Antwort auf eine Landtagsanfrage bezüglich der Situation am Alexis-Schuman-Platz:
18:23 Uhr
„Achtung! Achtung! Es folgt erneut eine Durchsage an die Personen auf der Karl-Liebknecht-Straße. Die Stadt Leipzig hat als zuständige Versammlungsbehörde eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach jegliche Versammlung und Aufzüge, einschließlich Eil- und Spontanversammlungen vom dritten Juni bis vierten Juni verboten sind. Die Gesetzesgrundlage ist der § 15 Absatz 1 des Sächsischen Versammlungsgesetzes. Die Polizei ist dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verpflichtet, die genannte Allgemeinverfügung durchzusetzen. Aufgrund dessen fordere ich Sie hiermit auf, sich unverzüglich in Kleingruppen in Richtung Connewitz, Wolfgang-Heinze-Straße zu entfernen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, werden sich gegebenenfalls weitere polizeiliche Maßnahmen anschließen. Ende der Durchsage 18:24 Uhr.“
Danach wird behauptet:
„Schlussendlich gelang es den Einsatzkräften (bis 18:28 Uhr) die Störer auf dem Heinrich-Schütz-Platz vollständig einzuschließen“
Die weiteren Auseinandersetzungen am Samstag Abend in Connewitz finden daher auch von Seiten der Behörden kaum Erwähnung, waren mit einkalkuliert und verfolgen die Strategie, dass die Bewohner*innen des Stadtteils sich gegen linke Strukturen wenden sollen und die Solidarisierung künftig ausbleibt. Wir sollten also in Zukunft darauf achten, nicht die langfristigen Ziele der Polizei und des Innenministers aus den Augen zu verlieren.
Was nach diesem Wochenende an Fragen bleibt:
Was sind unsere Konsequenzen aus einer solchen polizeilichen Aufstandsbekämpfungspraxis? Sollten wir die sogenannten demokratischen Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit überhaupt noch einkalkulieren? Macht es überhaupt noch Sinn, Demos anzumelden, wenn wir je nach Aufruf und Mobilisierungspotential mit einem Verbot rechnen müssen? Wie schaffen wir es sonst, uns kämpferisch mit Vielen massenhaft zu versammeln? Wie schaffen wir es auch im Nachhinein gut füreinander zu sorgen und der Vereinzelung entgegenzuwirken? Wie schaffen wir es uns besser zu organisieren und der massiven Repression zu trotzen? Was wollen wir mit Demos überhaupt ausdrücken oder erreichen?
Es gilt, das Erlebte zu reflektieren und aus Fehlern zu lernen. Ebenso können wir aber auch auf solidarische Momente zurückblicken, aus denen wir Kraft schöpfen konnten:
Auch noch um 3 Uhr morgens gab es im großen Kessel am Heinrich-Schütz-Platz minutenlange Sprech- und Singchöre einiger hundert Menschen. Das wenige Essen und die Getränke wurden geteilt und Infos zum Umgang mit Repression und stattfindenden Maßnahmen kommuniziert. Den widerwertigen, patriarchalen Beleidigungen der Bullen wurde sich aktiv widersetzt.
Für die über tausend Betroffenen des Kessels und anderer polizeilicher Maßnahmen ist es wichtig, sich zu erholen und mit der kommenden Repression solidarisch umzugehen. Das bedeutet unter anderem, keine Aussagen bei Bullen und Justiz zu machen, sich auszutauschen und zu organisieren, aber gerade auch emotional füreinander da zu sein. Auch die Spaltungsversuche von außen sollten wir weiterhin im Blick behalten. Eine Einteilung in friedliche unbeteiligte Demonstrant*innen, die ungerechtfertigt im Kessel gelandet sind, und gewaltbereiten Chaot*innen, welche die Strafverfolgung verdient hätten, ist abzulehnen.
United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen
1) https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2023/06/tag-x-drohungen-stadtfest-542534
Am Schluss noch einige Zahlen und Behördenangaben zur Woche aus verschiedenen parlamentarischen Anfragen:
31. Mai 2023 6 Staatsanwält*innen im Dienst, zwei in der Polizeidirektion Leipzig
3. Juni vor Beginn der Versammlung wurden 20 Platzverweise ausgesprochen. 3 Personen wurde ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen.
3.-4. Juni 2023 22 Staatsanwalt*innen im Dienst, davon 11 in Präsenz vor Ort in der Polizeidirektion, der Staatsanwaltschaft, am Amtsgericht und am Alexis-Schumann-Platz.
„Entsprechend des richterlichen Bereitschaftsdienstes nahm der (Haupt-)Bereitschaftsrichter am 3. Juni 2023 seine Tätigkeit im Amtsgericht Leipzig wahr. Auf seine Anforderung hin begaben sich zwei weitere Bereitschaftsrichter in die Polizeidirektion Leipzig. am 4. Juni 2023 waren neben dem (Haupt-)Bereitschaftsrichter drei weitere Bereitschaftsrichter im Dienst. Einer davon im Dienstgebäude der Polizeidirektion Leipzig. die anderen haben den Bereitschaftsdienst in den räumen des Landgerichtes Leipzig wahrgenommen.“
„Stand 11. Juni insgesamt 101 Straftaten und 10 Ordnungswidrigkeiten. Ohne Berücksichtigung des schweren Landfriedensbruchs am 3. Juni 2023 wurden 78 Tatverdächtige ermittelt.“
„Im Zeitraum vom 3. Juni 2023 bis 4. Juni 2023, Einsatzende wurden 82 Gewahrsamnahmen und 30 vorläufige Festnahmen durchgeführt. Es wurden 13 Haftanträge gestellt, darunter wurden 10 in Wollzug gesetzt. Alle 112 durchgeführten Freiheitsentziehungen erfolgten mit Zuführung zum zentralen Polizeigewahrsam/Gefangensammelstelle.“
„Darüber hinaus wurden im Zeitraum vom 31. Mai 2023 bis zum 4. Juni 2023 in der Polizeidirektion Leipzig unabhängig von den o.g. erkennungsdienstlich behandelten Personen, weitere 37 Tatverdächtige Personen im Zusammenhang mit dem Einsatzgeschehen Tag „X“ erkennungsdienstlich behandelt.“
„Das Bundeskriminalamt (BKA) hat im Vorfeld des „Tag X“ drei bundesweit gesteuerte Schreiben im Sinne der Fragestellung [gefragt wurde nach Lageeinschätzungen, Lagebilder und Gefahrenprognosen] gefertigt. Im Rahmen der Zentralstellenfunktion gemäß des § 2 Bundeskriminalgesetzes (BKAG) beobachtet und bewertet das BKA sicherheitsrelevante Entwicklungen in den verschiedenen Phänomenbereichen der Politisch Motivierten Kriminalität auch unter Gefährdungsgesichtspunkten.“
„Es waren keine Einsatzkräfte des BKA im Zusammenhang mit dem „Tag X“ in Leipzig eingesetzt.“
„Es wurden seitens des BKA im Rahmen des „Tag X“-Mobilisierung keine Personen zur polizeilichen Beobachtung oder Ähnliches ausgeschrieben.“
„Es wurden keine Einsatzmittel des BKA genutzt“
„Nach sorgfältiger Abwägung ist die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Fragen 14 bis 16 zur konkreten Verwendung von Einsatzmitteln des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im Zusammenhang mit dem „Tag X“ aufgrund entgegenstehender überwiegender Belange des Staatswohls nicht erfolgen kann, auch nicht in eingestufter Form.
Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen des BfV sind im Hinblick auf die künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzwürdig. Eine Antwort der Bundesregierung auf die Frage, ob und welche operativen Maßnahmen des BfV im Rahmen des „Tag X“ stattgefunden haben könnten, würde spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zur Methodik, den konkreten technischen Fähigkeiten des BfV und die konkrete Zusammenarbeit mit einzelnen Landesbehörden einem nicht eingrenzbaren Personenkreis nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland zugänglich machen. Dabei würde die Gefahr entstehen, dass die bestehenden operativen Fähigkeiten und Methoden aufgeklärt und damit der Einsatzerfolg gefährdet würde.“
Aufgebot der Cops an den Tagen:
31.05.2023
– 550 Cops
– Hubschrauber
– 2 Wasserwerfer
– Räumpanzer
01.06.2023
– 550 Cops
– Hubschrauber
– Flutlichtwagen
– 38 Cops in ziviler Kleidung
02.06.2023
– 840 Cops aus 3 Bundesländern
– Hubschrauber
– 2 Wasserwerfer im Einsatz
– Räumpanzer
03.06.2023
– 4600 Cops aus 13 Bundesländern + Bundespolizei
– 4 Hubschrauber
– 17 Wasserwerfer
– 9 Räumpanzer
– 1 Pferdestaffel
Bundespolizei:
03.06.2023
– 4 Wasserwerferstaffeln
– 1 Pferdestaffel
– 1 Lautsprecherwagen
– 1 Einsatzhundertschaft (2 Züge)
– 1 Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft
04.06.2023
– 1 Wasserwerfereinheit
– 1 Sonderwagen 4
Insgesamt 318 Cops der Bundespolizei